Donnerstag, 14. Juli 2016

Heimkehren

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Schon beim Schreiben dieses Titels sind mir die Tränen in die Auge gestiegen, was das ganze Unterfangen nicht unbedingt einfacher macht.
Heute ist Mittwoch, es fehlt aber nicht mehr viel zum Donnerstag. Grob gesehen fliege ich also schon übermorgen nach Hause. ÜBERMORGEN!
Jedes Mal, wenn ich versuche es mir bewusst zu machen verfalle ich entweder in einen Panikanfall oder versuche es vor mir selbst zu verstecken und denke lieber über andere Sachen nach. Vielleicht ist das eine Art instinktiver Selbstschutz, damit ich nicht komplett die Nerven verliere.

Noch vor gut zwei-drei Wochen dachte ich es wäre okay, ich hätte eine geniale Zeit gehabt und es täte jetzt gut meine Familie wiederzusehen. Jetzt sieht es ganz anders aus.
Natürlich freue ich mich trotzdem darauf meine Lieben wieder in die Arme zu schließen und ich weiß diese Vorfreude wird von diesen auch genauso erwidert. Und wirklich, ich habe euch sehr lieb! Aber dennoch ... können wir nicht einfach die Zeit zurückdrehen? Zurück zu "den guten alten Tagen", als dieses Auslandsjahr begonnen hat? Oder könnte ich nicht einfach noch ein Jahr dranhängen?

Langsam aber sicher beginnen die Abschiede erneut in mein Leben zu treten. Aber es ist nicht so, wie in Deutschland, wo man sich auf ein "bis nächstes Jahr" beschränkt hat. Nein, Abschiede haben hier etwas sehr viel endgültigeres und traurigeres an sich. Sie sind so kalt, diese Abschiede obwohl mir die Menschen mit solcher Wärme Lebewohl sagen.
Am erschreckendsten ist es meiner Meinung nach bei den Menschen, die zwar keine außerordentliche Bedeutung hatten in meinem Auslandsjahr, die aber trotzdem irgendwie durchgehend präsent waren und das mit einer absoluten Natürlichkeit. Zum Beispiel wäre da die Inspektora meines Flures in der Schule, oder Gasteltern von Freunden ... Lehrer, Bekannte, mit denen man nie wirklich sooo viel geredet hat, Verkäufer (wie zum Beispiel der arme Kerl im Computershop hier um die Ecke, der sich meine Technikprobleme viiiieeel zu oft anhören musste), etc, etc. Die Liste ist lang.

Mein letzter Schultag war wunderbar und grausam zugleich. Eigentlich wollten meine Freunde einen Cueca für mich aufführen, was dann aber leider doch nicht ganz geklappt hat. Aber die ganzen lieben Umarmungen und Glückwünsche, und diePizza, die wir als Kurs bestellt haben und natürlich das Video mit den viel zu furchtbaren Fotos aus dem ganzen vergangenen Jahr ... und natürlich die Ansprache meines Philosophie Lehrers, bei der ich in Tränen ausgebrochen bin.

Ich habe mich an diesem Tag von vielen Menschen verabschiedet. Einige würde ich noch widersehen, bei anderen war es ungewiss und bei wieder anderen war es ein Abschied für immer.

Ich kann es einfach immer noch nicht realisieren und mit jeder Sekunde, die meinen Flug näher bringt, wird es nur noch unwirklicher.
Ich kann mich einfach nicht sehen, wie ich meinen Freunden und meiner fantastischen Gastfamilie Auf Wiedersehen sage. Ein Abschiedsgruß, der zwar von Herzen kommt aber dennoch ungewiss ist
Ich kann mich nicht sehen, wie ich im Flugzeug sitze, zwischen lauter fremden Menschen, mit denen ich nichts gemeinsam habe als den Ort wo wir herkommen und unser Ziel der Reise, die viellicht nur zu Besuch inchile waren oder um Urlaub zu machen und möglicher Weis nicht wirklich verstehen, weshalb ich so drauf bin, wie ich drauf sein werde.
Ich sehe mich auch nicht durch meine einst so geliebte Kleinstadt laufen, sei es nun zum selben Bäcker wie schon immer oder zur selben Bushaltestelle wie immer um zur selben Schule wie immer mit den selben Leuten wie immer zu fahren.

Bitte, nehmt es mir nicht übel, aber ich verstehe es selbst nicht, wie mein damaliges Leben mir jetzt so fremd erscheinen kann, betrachtet aus der Ferne.

Es wird seltsam sein, plötzlich nicht mehr "Ann" zu sein, aber Ann-Kathrin (oder Anka, oder Aki oder was auch immer). Es wird auch komisch sein, nicht mehr jeden mit Küsschen zu begrüßen, egal ob du die Person kennst und ob du sie leide kannst oder nicht.
Verdammt, es wird seltsam den ganzen Tag kein Spanisch zu sprechen, oder eine zusammenhängende Konversation NUR auf Deutsch zu führen.

Ich vermisse jetzt schon so viele Sachen. So viele Menschen!!

Lorina, die nach Brasilien gegangen ist, hatte auf Whatsapp einen Status, der lautete:
"Wie glücklich kann ich sein etwas zu haben, was es mir so schwer macht zu gehen."oder so ähnlich, es war auf portugiesisch.
Es stimmt, aber das macht es nicht besser. Kein Stück, um genau zu sein. 

Ich will Chile nicht verlassen und ich kann es auch nicht, denn große Teile meines Herzens werden ohne mich hierbleiben. Das klingt kitschig, ich weiß. Aber zum Einen fühlt es sich wirklich so an und zum Anderen bin ich schon den ganzen  Tag in so einer dramatischen Stimmung ... ich weiß auch nicht warum, muss am Wetter liegen ...

Jedenfalls bedeutet das wirklich nicht, dass ich nicht auch mein Leben in Deutschland liebe und geliebt habe. Aber irgendwo in mir bin ich jetzt nicht nur Deutsche sonder irgendwie auch Chilena, und dieser Teil von mir würde momentan am liebsten nie mehr weg.